Welchen Stellenwert hat die soziale Frage innerhalb der SPD?
Die SPD und die soziale Frage
23.06.2018 | Nach einem turbulenten Jahresbeginn 2018 hat sich die SPD für den Weg in eine erneute Kollation mit der Union
entschieden. Nun streiten unsere Genoss*innen über den richtigen Weg aus der Krise der Sozialdemokratie. Programmatische wie strukturelle Weichenstellungen sollen den Weg für eine mehrheitsfähige SPD bereiten. Inhaltlich geht es um die Frage, was ein alternativer sozialdemokratischer Gesellschaftsentwurf ist.
Damit verbunden ist die Frage, welche Probleme für die Menschen relevant sind und wie sie gelöst werden können. Die Partei sucht dabei nach Antworten, die weiter reichen, als bis ins Jahr 2021. Doch um das beantworten zu können, muss sie sich grundsätzliche Fragen stellen: Will sie ihren Markenkern der "sozialen Frage", d.h. wie gesellschaftlicher Wohlstand gerecht verteilt werden kann, mit neuen Ideen wiederbeleben oder verfolgt sie in erster Linie kulturelle und identitätspolitische Themen? Oder anders gesagt: Ist die Frage, ob ein/e Arbeiter*in bei Deliveroo einen besseren Lohn, mehr Mitsprache und weniger Ausbeutung erfährt ebenso wichtig, wie die Frage nach der „Ehe für alle“? Welchen Stellenwert genießen sozio-ökonomischen Fragen innerhalb der Partei?
Die Sozialdemokratie war in der Lage, den Manchesterkapitalismus zu bändigen, den Wohlfahrtstaat auszubauen, den Wohlstand gerechter zu verteilen und mit Hilfe staatlichen Interventionismus, Mitbestimmung und Regulation eine gleichere und gerechtere Gesellschaft in fast allen Industrienationen zu errichten. Das geschah immer im Bündnis mit den Gewerkschaften, deren natürliche parlamentarische Vertretung die SPD war und auch heute noch ist. Sie sind die Experten, wenn es um die gerechte Verteilung von Wohlstand und Vermögen geht.
Heute ist dieses Bündnis nach fragilen Zeiten zumindest auf den obersten Ebenen wieder enger. Das zeigte sich auf dem GroKo-Parteitag der SPD in Bonn. Auch durch eine klare Pro- GroKo-Positionierung der Gewerkschaften konnte eine knappe Mehrheit für Koalitionsverhandlungen erreicht werden. ist aus Sicht der Gewerkschaften mehr als nachvollziehbar, denn Verbesserungen für die abhängig Beschäftigten gelingen nur mit politischen Bündnispartnern.
Der Weg zu einer besseren Gesellschaft verläuft deshalb entlang der Frage, welche Themen und Bündnispartner für die SPD relevant sein werden. Sind es die Hausbesitzer oder die Mieter*innen, die Arbeitgeberverbände oder die Gewerkschaften, die Geschäftsleitung oder die Betriebsräte? Aber auch die Gewerkschaften müssen die Debatten innerhalb der Parteien mitbestimmen, wenn Arbeitnehmer/innenpositionen am Kabinettstisch vertreten werden sollen. Statt am Spielfeldrand zu stehen, müssen sich Gewerkschaftsfunktionär/innen aller Ebenen an innerparteilichen Debatten beteiligen. Wenn die Debatten nicht mitgestaltet werden, finden Arbeitnehmer/innen-Positionen nicht mehr statt. Egal in welcher Partei.
Für das Verhältnis der SPD zu den Gewerkschaften gilt: Gewerkschaften, ohne Bezugspunkte zu der politischen Partei, die der Arbeiterbewegung entstammt, werden mittelfristig mit ihr untergehen. Insofern teilen sie das gleiche Schicksal.
Die Lage in England stellt sich positiver dar. Die englische Labour Party hat es geschafft, mit der sozialen Frage wieder zu einer Bewegung zu werden. Labour stellte die Frage nach der Lebensqualität und begeistert damit auch die jungen Menschen. Ihre plakative Antwort lautet: „for the many, not the few“.
Die Debatten um die Zukunft unserer Gesellschaft werden geführt. Die SPD steht nach einem desaströsen Wahlergebnis mit Langzeitfolgen vor dem Scherbenhaufen ihres Handelns. Einfache Antworten werden sich nicht finden lassen. Ausgangspunkt für eine erfolgreiche inhaltliche Erneuerung muss daher die Frage sein, ob der Kampf gegen ökonomische Ausbeutung Hauptmotiv einer "neuen" SPD sein soll.
Von Willi Francke und Knut Lambertin