Jahresfachtagung am 24./25. Oktober 2014 in Berlin
Partei als Interessenvertreterin von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?
Am 24. und 25. Oktober diskutierten etwa 60 Personen bei der gemeinsamen Jahresfachtagung des Kasseler Kreis – Forum sozialdemokratischer Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter e.V. (KK-FSG) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Tagungsort war traditionell die Bildungsstätte der IG Metall in Berlin-Pichelssee.
Gegenstand der Tagung
Die Förderung wissenschaftlichen und forschungsbasierten Auseinandersetzung mit Themen der Arbeitswelt als auch die demokratische Teilhabe der davon betroffenen, ist Aufgabe des KK-FSG. Dazu sucht der KK-FSG, eine Zusammenschlusses haupt- und ehrenamtlicher Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus allen Einzelgewerkschaften und dem DGB, die in der Sozialdemokratie im weiteren Sinne. aktiv sind den kritischen Dialog zwischen Gewerkschaften und Politik und den gemeinsame Austausch über wichtige aktuelle Themen. Mit der gemeinsamen Jahrestagung möchten die FES und KK-FSG dieses Anliegen aufgreifen und unterstützen. Die Förderung des Dialogs zwischen Gewerkschaften und Politik stellt eines der zentralen strategischen Ziele der FES dar.
Dabei wollten wir während der Jahresstagung 2014 folgenden Fragen nachgehen: Wie hat sich das Verhältnis zwischen Politik und Gewerkschaften in den vergangenen Jahren entwickelt, insbesondere in der Großen Koalition? Wie haben sich Haltungen und Ansprüche in den Gewerkschaften gegenüber Parteipolitik verändert? Wer kann sich wie für eine positive Entwicklung einsetzen? Schon die Ergebnisse der letzten Bundestagswahlen bei Gewerkschaftsmitgliedern machen deutlich, dass hier "ewige Wahrheiten" bröckeln. Letztendlich stellt sich die Frage, ob eine Partei Interessenvertreterin von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder von Gewerkschaften sein kann?
Wir wollen mit dieser Tagung den Austausch fördern, erfolgreiche Initiativen befördern und bessere Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Parteipolitik herstellen, um beide Säulen einer sozialen Demokratie zu stabilisieren und auszubauen: Die demokratische Partizipation der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger an der parlamentarischen sowie die Beteiligung der Beschäftigten an der wirtschaftlichen und sozialen Gestaltung des Miteinanders.
Resümee des ersten Tages
Am Freitagabend begrüßte das Geschäftsführende Vorstandsmitglied der FES Dr. Roland Schmidt unter der Überschrift "Miteinander gestalten - Demokratie fördern durch Vertiefung des Dialogs zwischen Gewerkschaften und Politik" die Anwesenden. Dabei betonte er die Bedeutung des guten Verhältnisses von SPD und Gewerkschaften. In seiner Begrüßung skizzierte Knut Lambertin als Vorsitzender die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Mitte der 1990er Jahre und heute.
Im Kamingespräch führte Karin Nink, Chefredakteurin des Vorwärts mit Reiner Hoffmann, Vorsitzender der DGB, und Dr. Jan Stöß, Berliner Landesvorsitzender der SPD, über das aktuelle Verhältnis von SPD und Gewerkschaften. Dabei waren sich beide einig, dass SPD und Gewerkschaften gemeinsam Inhalte vorantreiben müssen. Das gilt sowohl vor Ort, auf regionaler oder lokaler Ebene, bis hin zur Europäischen Union.
Krisenerfahrungen und Politikvertrauen. Wie hat sich die politische Orientierung von Beschäftigten und Interessenvertretern verändert?
Auf Grundlage der Thesen Wolfgang Menz' vom ISF München arbeiteten anschließend Arbeitsgruppen an Lösungsansätzen. Wir dokumentieren nachfolgend die Thesen:
"Vorbemerkung:
Die folgenden Thesen basieren auf drei qualitativ‐soziologischen Studien zur Wahrnehmung von Krisenprozessen in Ökonomie und Arbeit. Befragt wurden betriebliche Vertrauensleute, (nicht freigestellte) Betriebsräte sowie Beschäftigte (überwiegend Gewerkschaftsmitglieder). Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, die Befragtengruppen sind nur eingeschränkt vergleichbar.
(1) Differenzierte Krisenwahrnehmung
Industrie: Die Wirtschaftskrise wird als Teil einer "permanenten Krise" wahrgenommen. Die ökonomischen Einbrüche 2008ff. werden eigeordnet in längerfristige Erfahrungen mit Krisen, Restrukturierung usw. Die Wirtschaftskrise trifft auf Beschäftigte, die im Umgang mit Krisenbedingungen bereits routiniert sind. Krisen haben einen hohen Objektivitätscharakter.
Soziale Dienstleistungen: "Krise" erscheint als "machtpolitische Inszenierung", nicht als
objektiver Zwang. Dadurch wird der Sachlichkeitscharakter von Krisen bestritten.
Wissensarbeiter: Diese Gruppe sieht sich von Krisentendenzen am wenigsten berührt,
gewinnt daraus aber keine besondere Zukunftssicherheit.
(2) Die Krise hält an
Die Finanzmarkt‐ und Wirtschaftskrise hat - trotz begrenzter Folgen für die konkrete Situation der Beschäftigten - zu einer Verunsicherung der Beschäftigten geführt. In der Wahrnehmung der Beschäftigten ist die Krise noch nicht überwunden. Aktuelle Entwicklungen in Arbeit und Ökonomie werden eingeordnet in die generalisierte Erwartung einer Verschlechterung gesellschaftlicher Bedingungen.
(3) Gestiegenes Vertrauen in die Gewerkschaften
Quer durch die Beschäftigtengruppen beobachten wir ein gestiegenes Vertrauen in die Institution Gewerkschaft. Ursache dafür ist nicht unbedingt die Zufriedenheit mit der konkreten gewerkschaftlichen Politik, sondern ein genereller Mangel der Repräsentation von Beschäftigteninteressen in Politik und Gesellschaft.
(4) Politisches Mandat der Gewerkschaften
Erwartet wird ein stärkeres politisches Engagement der Gewerkschaften. Zugleich sollen die Gewerkschaften aber auf Distanz zu klassischen politischen Institutionen bleiben bzw. gehen.
(5) Krisenkorporatismus
Die 'Revitalisierung der Gewerkschaften' erklärt sich nicht aus dem Erfolg des 'Krisenkorporatismus'. Die Gewerkschaften werden vielmehr gerade als alternative Institution zum klassischen politischen Institutionengefüge geschätzt. Die Revitalisierung ergibt sich eher aus einer diffusen Verunsicherung durch die Krise als aus einem gelungenen Krisenmanagement.
(6) Parteienaffinität
Die Beschäftigten bleiben auf Distanz zur SPD, wir können keine grundsätzliche Tendenz einer Wiederannäherung erkennen. Alle Parteien fallen unter grundsätzliche Vorbehalte gegenüber der institutionellen Politik (es gibt auch keine Annäherung an DIE LINKE).
(7) Politik im Beschäftigteninteresse
Das politische Engagement der Gewerkschaften wie auch das Engagement von Regierung und Politik für Beschäftigteninteressen wird insgesamt wenig wahrgenommen. Diese Wahrnehmungslücke erklärt sich aus dem fehlenden Grundvertrauen in die Politik.
(8) Legitimationsprobleme der institutionellen Politik
Institutionelle Politik gilt mehr und mehr als "verlorenes Terrain". Wir beobachten Tendenzen einer "Ent‐Legitimierung" von Politik. Es kommt insgesamt zu einer Rücknahme von Ansprüchen und Erwartungen an die Politik. Dadurch bleibt die (z.B. demoskopische ermittelte) Zufriedenheit mit der Politik stabil: Die gesunkenen Erwartungen werden erfüllt.
(9) Alternativen zur institutionellen Politik
Im Industriebereich werden Herausforderungen und Krisen eher individualistisch bewältigt. Die Befragten Interessenvertreter/innen beklagen einen Rückgang des kollektiven Engagements. Dagegen gibt es deutliche Anzeichen für wachsende basisbezogene interessenpolitische Aktivitäten im Dienstleistungsbereich. Dies bedeutet zugleich eine Feminisierung von Protest. Oft handelt es sich dabei um "Mikro‐Mobilisierungen", die sich an konkreten Fällen und Krisen entzünden. Eine Erklärung für die Unterschiede bietet die unterschiedliche Wahrnehmung 'politischer' Ursachen für Krisen und Interessenbeeinträchtigungen."
Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Diskussionsebenen der SPD
Anschließend sollten Uli Freese (Seeheimer), Eva Högl (Netzwerk Berlin), Hilde Mattheis (DL21) und Ralf Stegner (Mit-Initiator des "Aufruf für eine neue Parteilinke") unter Moderation von Horand Knaup (Der Spiegel) die Thesen diskutieren. Diese Diskussion stellte sich jedoch als schwierig und zeigte wie wenig die neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse bisher in den SPD-internen Diskussionen angekommen sind. Hier wurde Handlungsbedarf deutlich.