Bericht von der Jahrestagung
Mit wem – für wen? Zielgruppen für Parteien und Gewerkschaften
21.10.2018 | Die Sozialdemokratie steht an einem Punkt, an dem es nicht mehr weitergeht. Aus dieser "existentiellen Krise" (Ralf Stegner) kann es die SPD nur schaffen, wenn sie sich den Konsequenzen der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse stellt. Nach 13 Jahren intensiver Debatte im Kasseler Kreis steht nicht mehr nur das Verhältnis der SPD zu den Gewerkschaften im Blick, sondern auch die Parteiendemokratie insgesamt, die 28 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung gefährdet ist.
Knut Lambertin, Vorsitzender des Kasseler Kreis e.V., skizzierte die aktuelle Situation und benannte zugleich Gründe, die zu diesem Punkt geführt haben: Die Spaltung der Gesellschaft, die einseitige Interessenpolitik für die oberen Klassen sowie das Misstrauen zwischen Arbeitnehmer*innen und der SPD. Die abnehmende Wählerbindung der SPD als Volkspartei und das Erstarken einer politischen Rechten sind das Ergebnis mangelnden Vertrauens der abhängig Beschäftigten an eine gute, soziale und zukunftsgewandte Politikgestaltung. Zugleich sind sie auch Ergebnis mangelnder Strategie, wenig authentischer Köpfe und politischer wie wirtschaftlicher Skandale einer noch immer homogenen, undurchlässigen Elite. Der Elitenforscher Michael Hartmann beschrieb die Gefahr, die von der exklusiven mehrheitlich (groß-) bürgerlichen Zusammensetzung der Eliten ausgeht, anhand einiger Beispiele sowie die Auswirkung auf politische Entscheidungen. Die aktuelle Situation hat seiner Meinung nach mit eben dieser neoliberal geprägten politischen Elite zu tun. Max Ostermayer von der Friedrich Ebert Stiftung verdeutlichte, dass es möglich sei, ehemalige Wähler*innen mit einer guten Sozialpolitik zurückzuholen.
Das Kamingespräch zwischen Ralf Stegner und Markus Hofmann zeigte einmal mehr, es müssen die Konflikte um Arbeit und Macht wieder auf die politische Agenda rücken, um mehr Repräsentanz zu schaffen und Vertrauen zurückzugewinnen. Es muss dazu die Frage beantwortet werden, für WEN die SPD künftig WIE, WARUM und mit WEM Politik macht? Beide waren sich einig, dass die Interessen von arbeitenden Frauen und Männern und ihre Themen aus der Welt der Arbeit dabei im Fokus sozialdemokratischer Politik zu stehen haben. Diesen Ansatz bestätigte der Bundesgeschäftsführer der SPD, Thorben Albrecht. Seiner Ansicht nach muss die SPD wieder "Partei der Arbeit" sein und sich mehr um eine gerechtere Primärverteilung kümmern.
Passend dazu wurde die Diskussion mit den Gewerkschaftern Frank Werneke (ver.di) und Christian Kühbauch (IG Metall) fortgesetzt. Werneke kritisierte, dass die SPD die prekär Beschäftigten als Zielgruppe teilweise aufgegeben hätte. Allerdings sei eine fortschrittliche, an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Politik ohne SPD nicht machbar. Kühbauch als Organisationsleiter der IG Metall verwies darauf, dass die Attraktivität von Gewerkschaften stark von ihren Inhalten abhänge: "Eine gute Organisationspolitik ist kein Ersatz für schlechte Politik". Für die SPD heißt das, neben der organisatorischen Neuaufstellung unverzüglich Antworten auf die aktuellen Sorgen und Nöte der Menschen zu liefern.
Auch nach eineinhalb Tagen intensiver und konstruktiver Diskussion bleibt unbeantwortet, was es heißt, Partei der Arbeit in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts zu sein. Welche Bedeutung erhalten Arbeiterinnen und Arbeiter und Ihre Vertreterinnen und Vertreter bei der versprochenen Erneuerung der SPD? Oder auch wie die Gewerkschaften im DGB die neue Vielfalt in der Arbeitswelt in ihren Reihen besser abbilden können?
Die Debatte zeigt: Der rechte Aufwärtstrend lässt sich nur stoppen, wenn klar gemacht wird, wofür Gewerkschaften und Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gegensatz zu Marktradikalen, Frauenfeinden und Ausländerhassern stehen. Hier muss eine klare, kompromisslose Linie erkennbar werden. Die Debatten und konkreten Politikansätze dieser Tagung liefern sicherlich eine wichtige Ausgangsbasis.