Rückblick auf die Fachtagung im Juni in Berlin
"Will und kann Parteipolitik die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückgewinnen?"
04.12.2015 | Am 5. und 6.Juni fand in der Bildungsstätte der IG-Metall am Pichelssee in Berlin unsere Fachtagung zum Thema "Will und kann Parteipolitik die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückgewinnen" statt. Eröffnet wurde die Fachtagung durch einen Vortrag von Thomas Meyer, Mitglied in der Grundwertekommission der SPD.
Er verdeutlichte die aktuelle Situation anhand zunehmender kapitalistischer Auswüchse, die sich immer mehr von den sozialdemokratischen Fesseln zu lösen beginnen und bedrohlich auf die in den letzten 120 Jahren erreichten arbeits- und sozialpolitischen Errungenschaften in Deutschland und Europa wirken. Er gab damit die Stoßrichtung für alle folgenden Diskussionen und Vorträge, die sich immer wieder um die Frage drehten, wie Erwartungen von Beschäftigten an Politik und Gewerkschaften hinsichtlich einer leistungsgerechten, fürsorglichen und mitbestimmenden Wirtschaftsdemokratie vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwickung in gemeinsamer Kooperation gestaltet werden können.
Im von Katharina Gerlach moderierten Kamingespräch mit Michael Vassiliadis, der anlässlich des 125 jähriges Bestehen der IG BCE zu Gast war, wurde schnell deutlich, dass SPD und Gewerkschaften oftmals an den gleichen Themen arbeiten, Zusammenarbeit aber nur zu wenig stattfindet. Beide gaben zudem einen Ausblick auf die anstehenden Herausforderungen hinsichtlich der Arbeit der Zukunft (Arbeit 4.0), die von vielen der ca. 60 anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Fachtagung als eine Chance verstanden wurde, um Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und SPD zu fördern.
Dr. Wolfgang Menz zeigte anhand einer Studie auf, wie sich abhängig Beschäftigte und Politik voneinander entkoppelt haben: "Die abhängig Beschäftigten sehen in der Politik kaum mehr eine wirksame Institution, die die eigenen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse verändern kann". Aus dieser Einschätzung heraus stammt auch die Schlussfolgerung, dass die Gewerkschaften als Alternative zur institutionellen Politik gesehen werden und auch deshalb gerade dabei sind, sich zu revitalisieren und ihre gewerkschaftliche Stärke zurück zu erlangen. Auf Grund dessen und auch auf Grund der Agendaerfahrungen suchen sich Gewerkschaften unterschiedliche Bündnispartner in unterschiedlichen Parteien. Die SPD bleibt zwar die erste Ansprechpartnerin, ist es aber nicht mehr allein. Diese "lose organisatorische Beziehung" sieht auch Dr. Christian Neusser, der verdeutlichte, dass trotz aller Entzweiung die SPD die größte programmmatische Basis und "personelle Verschränkungen" mit den Gewerkschaften hat. Die Entzweiung begründet er u.a. damit, dass sich die gemeinsamen Zielgruppen von SPD und Gewerkschaften verringert haben. Für die SPD gewinnt die zahlenmäßig gewachsene Mittelschicht an Bedeutung und bei den Gewerkschaften bleibt der Fokus auf die industrielle Facharbeiterschaft. Dennis Buchner, Landesgeschäftsführer der SPD Berlin, stellte dar, wie die SPD zu "alter Stärke" zurückfinden möchte. Auch er stellte die gemeinsamen Themen in den Mittelpunkt der strategischen Überlegungen. Den Abschlussvortrag hielt Thomas Fischer, Abteilungsleiter für Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik im DGB. Er zeigte mögliche strategische Optionen und Handlungsrestriktionen der Gewerkschaften auf und gab damit einen Ausblick, der die Fachtagung inhaltlich abrundete.
Aus dem Newsletter 10/2015 des Kasseler Kreises